IN DIESEN RÄUMEN BAUEN WIR UNSERE VERGANGENHEITEN AUF PAPIER | Kunstbuch
Eine Verortung der persönlichen Erinnerung, Stefanie Pichler

Leporello, 2010
, Aufl. 3 Expl., 78 Seiten, Zeichnung, Text, Fotografie, Papier, Leinen, 15×19 cm

In dem Kunstbuch: „In diesen Räumen bauen wir unsere Vergangenheiten auf Papier“ bewege ich mich an der Grenze vom individuellen zum kollektiven Erinnern. Die Identifikation der betrachtenden Personen ist jenes Potential, welches das kollektive Erinnern möglich macht. Kindheitserinnerungen, dessen gemeinsamer Nenner ein Generationen-Ort ist, wechseln sich ab, mit fiktiven und dokumentarischen Dialogen zwischen der Enkelin und der Großmutter. Dabei verschwimmt Realität, Phantasie und Traum. Eigene Texte, Zeichnungen und Fotografien verbinden sich in assoziativer Weise und finden ihren Platz in dem Weiß eines Leporellos.

Ich sehe das Buch als eine Arbeit die sich zwischen bildender Kunst und Wortkunst bewegt. Denn alleinig die Vernetzung, ein Ineinandergreifen unterschiedlich medial materialisierter Erinnerungen und Assoziationen vermag es, das Abwesende zu verkörpern und zu repräsentieren. 
Das Buch ist somit nicht nur materialisierte, wiederbelebte Erinnerung, sondern auch Sinnbild für meine Theorie der Erinnerung. Die intensive Auseinandersetzung mit aktuellen Theorien über Erinnerung hat mich eine Arbeitsweise entwickeln lassen, die es schafft, Erinnerung zu instrumentalisieren und dennoch ihre Magie zu bewahren. Sie nähert sich dem Erinnern von zwei Seiten. Einerseits dem Dokumentieren, um zu vermitteln und festzuhalten und andererseits dem assoziativen Prozess der Entstehung selbst. Es spannt den Bogen vom Gedächtnis und seinen Bildern zur Verselbstständigung des Raums über die Erzählungen vom Leben.

Was heißt es sich zu erinnern? Welche Situationen bleiben uns als Bilder, Emotionen erhalten? Wie manifestiert sich unsere Erinnerung in etwas Materiellem? Wie können Erinnerungen künstlich konserviert werden? Was ist erinnerungswürdig? Wo und für wen wird das Vergangene sichtbar und kommunizierbar? Was bleibt an Vergangenem? Warum wollen wir uns verewigen und wie kann man sich verewigen? Wie lebt man weiter?

Der Umgang mit diesen Fragen und schlussendlich deren Umsetzung kann sich in unterschiedlichste Bereiche ausdehnen und sich in Erzählung, Wissenschaft oder Poesie wieder finden. Das Buch ist ein Versuch, in poetischer Weise diese Fragen zu verorten und zu erzählen. Anhand von Erinnerung und des Wiedererlebens soll das Verschwinden, die Endlichkeit eines jeden Menschen thematisiert werden. Sie macht Vergangenes präsent und belebt es erneut. Sei es die Erinnerung an die Kindheit oder an Menschen, die nicht mehr in unserer Nähe sind. Im Laufe des Buches unternehme ich Wiederbelebungsversuche von Vergangenem, wie das Aufscheinen des Nusslikörs, von dem Nussbaum, den es nicht mehr gibt, oder das Feststellen des eigenen Überlebens, während wir die Gesichter der Menschen sammeln.